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Großbritannien: zu viel Valium für Kinder

Angesichts zunehmender psychischer Probleme verschreiben britische Ärzte Kindern immer häufiger Medikamente wie Valium. Die Zahlen sind in den letzten vier Jahren um 57 % gestiegen, am stärksten seit Beginn der Pandemie. Täglich werden allein in England 350 Rezepte für diese stark süchtig machenden Medikamente ausgestellt, die eigentlich nur für kurze Zeit eingenommen werden sollten.

Die Zahlen stammen aus einer schriftlichen Anfrage im Oberhaus des Parlaments. Allgemeinmediziner berichten, dass sie sich immer häufiger um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen kümmern müssen, die eigentlich Anspruch auf fachärztliche Hilfe hätten.

Valium für Kinder: Experten warnen

Der Politiker Michael Ancram setzt sich seit Jahren für die psychische Gesundheit ein. Er stellte fest, dass die Zahl der unter 18-Jährigen, die Medikamente gegen Angstzustände einnehmen, von 96.756 im Schuljahr 2019/20 auf 122.181 im Schuljahr 2021/22 gestiegen ist. Die meisten dieser Medikamente sind Hypnotika zur Behandlung von Schlafstörungen und Anxiolytika zur Vorbeugung und Behandlung von Angstzuständen und Angststörungen. Dazu gehören auch Benzodiazepine wie Valium, die stark abhängig machen.

Ein führender Psychiater hält diese Entwicklung für schockierend. Er warnt davor, dass eine ganze Generation übermedikalisiert und zu Diagnosen geführt wird, die ihr Leben zerstören können. Ein anderer führender Experte bezeichnet den zunehmenden Einsatz von Medikamenten als erschreckend und gefährlich. Seiner Meinung nach werden Medikamente als Notbehelf eingesetzt, um den Mangel an psychiatrischen Diensten auszugleichen.

Marcantonio Spada, Professor für Sucht und psychische Gesundheit, der unter anderem Leitlinien für den Entzug von Medikamenten entwickelt hat, sagt: „Die Zahl der Kinder, die diese Medikamente erhalten, ist erschreckend und äußerst besorgniserregend. Wir wissen, dass diese Medikamente süchtig machen und dass Menschen sehr schnell abhängig werden.

Anstieg in der Pandemie

Die Daten zeigen, dass der stärkste Anstieg zwischen 2021 und 2022, also während der Pandemie, zu verzeichnen war. Die Kinder waren lange Zeit eingesperrt. Sie waren mit Ängsten konfrontiert, konnten nicht zur Schule gehen und hatten keine sozialen Kontakte. Studien zeigen, dass die psychische Belastung sehr hoch war.

Professor Spada fügte hinzu: „Es ist keine Überraschung, dass wir einen sprunghaften Anstieg dieser Verschreibungen verzeichnen, der zum Teil auf die Pandemiemaßnahmen zurückgeführt werden kann. Diese Medikamente sind sehr gefährlich und können Kinder für den Rest ihres Lebens abhängig machen. Ich bin besorgt, dass sie als Lückenbüßer eingesetzt werden, weil das System nicht in der Lage ist, die Zahl der Menschen mit psychischen Problemen zu bewältigen. Medikamente lösen die Probleme nicht und können langfristig zu einer schweren Abhängigkeit führen.

Professor Sami Timimi, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Leiter der medizinischen Ausbildung am NHS in Lincolnshire, sagt: „Die Statistiken sind schockierend. Ich glaube nicht, dass es jemals eine Generation gab, die so pathologisiert wurde wie diese. Wenn man Kindern immer mehr Medikamente wie Valium verschreibt, bereitet man sie auf einen lebenslangen Kampf vor, weil sie glauben, dass in ihnen etwas nicht stimmt und sie es unterdrücken müssen.

Auch Antidepressiva auf dem Vormarsch

Weitere Daten zeigen, dass die Verschreibungen von Antidepressiva für Kinder im Alter von 5 bis 12 Jahren zwischen 2015 und 2021 um mehr als 40 Prozent gestiegen sind. Der Höhepunkt wurde im März 2020 erreicht, nach Beginn des ersten Corona-Lockdowns, mit 2.031 Verschreibungen. Das ist ein Anstieg um 15 Prozent im Vergleich zum März 2019. Im selben Monat erreichte die Zahl der einzelnen Patienten unter 17 Jahren, die ein Antidepressivum erhielten, in England einen Höchststand: 17.902 weibliche und 9.855 männliche Jugendliche erhielten ein Rezept für eines dieser Medikamente.

Olly Parker von YoungMinds sieht in diesen Zahlen ein Zeichen für die Krise in der psychiatrischen Versorgung junger Menschen. „Viele, die Hilfe suchen, scheitern an den begrenzten Möglichkeiten. Junge Menschen haben oft Schwierigkeiten, Zugang zu angemessener Behandlung zu erhalten. Selbst wenn es eine Behandlung gibt, ist sie oft minimal. Medikamente können eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, jungen Menschen bei der Bewältigung ihrer psychischen Probleme zu helfen. Sie können aber Gespräche und Beratung nicht ersetzen. Lange Wartezeiten und hohe Zugangshürden führen dazu, dass sich Hausärzte unter Druck gesetzt fühlen, Medikamente zu verschreiben. Diese sind aber kein Ersatz für andere Therapieformen“.

Die neuen Zahlen folgen der Warnung einer hochrangigen Gerichtsmedizinerin, dass die psychiatrischen Dienste des NHS junge Menschen im Stich lassen.

Unterschiede im System

Wie in Deutschland braucht man auch in Großbritannien ein Rezept, wenn man ein Medikament wie Valium kaufen möchte. In Deutschland sind die meisten Ärztinnen und Ärzte jedoch vorsichtiger, wenn es darum geht, Kindern Medikamente wie Valium zu verschreiben. Das könnte auch daran liegen, dass das deutsche Gesundheitssystem besser organisiert ist. Kinder und Jugendliche, die eine psychologische oder psychiatrische Behandlung benötigen, erhalten in der Regel zeitnah einen Termin. Medikamente zur Überbrückung sind hier, wenn überhaupt, nur für sehr kurze Zeit notwendig.

Quelle: express.co.uk

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